Berufliches und Privates zu trennen war wohl niemals so schwer wie im Zeitalter der sozialen Medien. Nun ist diese Tatsache einem der besten europäischen Snowboarder zum Fallstrick geworden.
Beitragsbild: Silvano Zeiter
Weder Gnu noch 32 bezogen Stellung zu der Entlassung Müllers, jedoch kann man davon ausgehen, dass sie durch Müller als Werbeträger die Werte, für die sie mit dem Namen ihrer Firma stehen, in Gefahr sahen. Grund: Müllers kontroverse Social Media Aktivitäten.
Das Sponsoren die Socialmediaaktivitäten ihrer Werbeträger mit Argusaugen beobachten ist nicht erst seit gestern bekannt, und erst vor kurzem wurde ein abfälliges Posting über George Floyd von Crossfit Gründer Greg Glassmann der Firma zum Verhängnis, Insidern Zufolge steht Crossfit kurz vor dem bankrott.
Umso erstaunlicher ist es es, dass Müller seine Karriere als Snowboarder so leichtfertig aufs Spiel gesetzt hat. Wie sollen wir damit umgehen?
Weltanschauung von Müller
Nun bewegen wir uns in einer Szene, in der Pluralismus, Liberalität, Offenheit und das Recht auf freie Meinungsäusserung beinahe einen Imperativ darstellt. Jedoch ist das mit freien Meinung ein sehr schmaler Grat. Müller hat mit seiner Weltanschauung verschiedene Leute verletzt und beleidigt, kritische Fans wiederholt öffentlich vorgeführt anstatt den dringend notwendigen Diskurs zu suchen. Müllers Verschwörungsglauben lässt sich nicht wissenschaftlich belegen und birgt aufgrund seiner medialen Reichweite auch ein nicht zu unterschätzendes Gefahrenpotential. Wir sind redaktionsintern leider nicht im Bilde, inwieweit sich Müller auch rassistisch geäussert hat, wenn dem so sei, ist das aufs schärfste zu verurteilen. Das 32 und Gnu aus Image Gründen die Reissleine gezogen haben, kann man ihnen kaum vorwerfen.
Verschwörungstheorien sind keine Theorien
Jedoch sollten wir uns alle bewusst machen, dass es sich bei Verschwörungstheorien um keine widerlegbare Theorie, sondern vielmehr um kultivierte Glaubensinhalte handelt, die über soziale Medien massenhaft verbreitet und leider immer wieder für bare Münze genommen werden. Während sich die Reichweite solcher Inhalte vor 2 Jahrzehnten noch auf Stammtischgespräche beschränkt haben, erreichen sie heute über Youtube und andere Plattformen Millionen. Müller ist bei weitem nicht der Einzige, der sich tagtäglich über den „skandalösen Irrsinn“ der Corona Panik äußert. Die Reaktionen auf Müllers Aktivität: genervt, herablassend, besorgt. Derweil sind Verschwörungsvermutungen per se nicht immer falsch: kein Drogenkartell der Welt würde funktionieren, gäbe es nicht bis in die Politik hinein Menschen, die die kriminellen Handlungen von Kartellbossen ermöglichen und fördern. Hinter Watergate, dem größten Politskandal unserer Zeitgeschichte verbargen sich klandestine Aktivitäten von Mitarbeitern des weißen Hauses bezüglich der Wiederwahlkampagne Nixons. Die rechtsextremen Machenschaften in der deutschen Bundeswehr geben mit Sicherheit auch die Berechtigung, an Verschwörungsvorgänge zu glauben. Es wäre also geradezu naiv, die Existenz von Verschwörungen im Vornherein auszuschließen. Es ist eine der Hauptaufgaben der demokratischen Gesellschaft, Regierungspläne und Autoritäten kritisch zu hinterfragen, schon allein der Kontrollfunktion zur Liebe. Das Problem im Fall Müller ist aber wohl, dass sich sein Hinterfragen vergessen hat, selbst zu hinterfragen, Annahmen und Spekulationen wurden hier als Wahrheiten verkauft, dunkle Machenschaften waren auf einmal omnipresent. Die Beweispflicht liegt eingentlich beim Ankläger, leider blieb er uns diese in fast allen Fällen schuldig. Dass Verschwörungsglauben ein hohes Gefahrenpotential birgt, lässt sich sogar geschichtlich nachweisen: denn ohne Verschwörungsglauben hätte es wohl keine Hexenverbrennungen, keine Judenverfolgung und keinen Völkermord in Ruanda gegeben. Auch die Afd benutzt den Verschwörungsglauben der „Umvolkung“ als Wahlinstrument: der syrische Flüchtling wird zum Agenten des großen, geheimen Plans, den eben keiner sieht außer die Gläubigen und die Ausführenden.
Verschwörungsglaube kommt von Unsicherheit
Zweifelsohne: Verschwörungstheoretiker nerven und gefährden mit missionierender Übergriffigkeit und zirkulärer Logik (Bill Gates steckt dahinter, er profitiert davon), aber auch wenn ich fast keine Aussage Müllers unterschreiben würde (In der Basis bin ich auch gegen 5G, denn den durchs Netz wabernden Unsinn muss sich wirklich kein Mensch noch schneller ins Gehirn schießen, auch daccord bin ich mit seiner veganen Lebensweise, die, wie er richtig sagt, unsere Welt um ein vielfaches besser machen würde), bin ich ihm dennoch dankbar: ich fände es nämlich weitaus gruseliger, wenn es keinerlei Skepsis und Kritik an tief ins privat Leben eingreifende Regierungsmassnahmen gäbe (und hier nehme ich mit Betonung alle rassistischen Kommentare aus, die ich selbst allerdings nicht gesehen habe) , vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass ein Groß der Menschen die zu Grunde liegenden Daten nicht annähernd beurteilen können. Ich stimme mit Nicolas Müller in den wenigsten Punkten überein und falls sich die rassistischen Äußerungen bewahrheiten sollten, gehören sie aufs schärfste verurteilt; aber genauso beängstigend finde ich die Forderung nach geschlossenen Reihen und einer unwidersprochenen Obrigkeitshörigkeit in einer offenen Szene, wie sie die Snowboardszene eigentlich sein sollte. Vielleicht habe ich diese Meinung exklusiv, aber ich bin Nicolas Müller sogar in gewisser Weise dankbar: die Konfrontation mit seinen Postings und der darin geäußerten Meinung hat zu einer Reflexion meiner eigenen Position geführt, mich dazu genötigt meinen Wissenschaftsglauben zu begründen, vor mir selbst und anderen. Ich bin bester Hoffnung, dass der Schön und Freigeist Müller anfängt sein Hinterfragen zu hinterfragen und spätestens dann wird er merken, dass seine Weltanschauung nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Auch wenn Objektivität, Reliabilität und Validität in einer Argumentation gegeben sind, bleibt immer eine Restunsicherheit, eine Paradoxie, wie sie der Mathematiker Georg Canter bezeichnet. Folgt man führenden Sozialforschern, kann man auf diese Restunsicherheit vertrauensvoll reagieren und sich einfach tragen lassen (was anscheinend die meisten Menschen tun) oder diesen Kosmos der Unwissenheit als bedrohlich wahrnehmen, was laut Experten oft die Wurzel von von Verschwörungsglauben ist; welchen Weg man wählt, begründen Experten oft mit Erlebnissen in der frühsten Kindheit. Ich breche an dieser Stelle keine Lanze für Müller, ich hinterfrage lediglich mein Hinterfragen und frage mich, warum Nico Müller so handelt, wie er es tut. Und obwohl ich in diesen Fragen niemals einer Meinung mit ihm sein werde, verstehe ich zumindest zum Teil, warum er so handelt, wie er es tut. Ich hoffe inständig, dass Müller es mir gleich tut und anfängt sein Weltbild ein wenig öfter zu hinterfragen.
Disclaimer: dieser Kommentar ist meine persönliche Meinung und gibt nicht die Sichtweise von dem Magazin Prime Snowboarding wieder.